Der Südtiroler Alpinist Simon Messner im Gespräch mit Booking Südtirol
In Südtirol haben sich die Menschen mehr als anderswo bemüht, altes Kulturgut zu erhalten, sagt Simon Messner. Der Sohn des bekannten Bergsteigers Reinhold Messner ist Teil einer jungen Bergsteigergeneration, die sich durch ressourcenschonendes Klettern auszeichnet und dabei keinerlei Spuren am Berg zurücklässt. Jetzt verschreibt er sich selbst der Landschaftspflege und wird Bergbauer im Vinschgau. Ein Gespräch über das Bergsteigen, wie es ist, einen berühmten Vater zu haben und wo es ihm in seiner Heimat Südtirol besonders gut gefällt.
Simon, du bist ein leidenschaftlicher Alpinist mit vielen Erstbegehungen. Wie bist du zum Bergsteigen gekommen?
Ich bin überzeugt, dass jede Leidenschaft, sei es Skifahren, sei es Bergsteigen, selbst entdeckt werden will. Wenn man sich dem widmen will, dann muss man selbst die Zeit und Energie investieren und besser werden wollen. Das kam bei mir relativ spät. Wie ich mit dem Bergsteigen angefangen habe, so mit 16, 17 Jahren, da habe ich mir geschworen, ich mache das nur für mich. Deshalb habe ich auch viele Jahre lang nichts publiziert, keine Fotos gemacht, einfach gar nichts davon preisgegeben. Und das war für mich eigentlich bergsteigerisch die allerbeste Zeit. Ohne Druck. Es ging ausschließlich ums Tun, nicht um Begriffe. Denn jeder Berg ist ja auch ein Begriff: „Ich war auf dem Matterhorn“. „Ich war am Ortler.“ „Ich war auf dem Everest.“ Für viele sind Berge Namen, die man sammelt. Aber Alpinismus darf nicht bloß Konsum der Ware „Berg“ werden.
Dein Vater ist einer der bedeutendsten Persönlichkeiten in der Geschichte des Alpinismus. Hat dich das als Bergsteiger geprägt? Wie bist du damit umgegangen?
Wie man damit umgeht, dafür gibt es keine Patentrezepte. Eltern sind wohl in den meisten Fällen Vorbilder, wenigstens für eine gewisse Zeit. Bei uns zuhause ging es gar nicht klassisch zu. Wir haben uns daheim schon über das Bergsteigen unterhalten, Reinhold und ich kennen uns in der Szene ja beide gut aus, wir kennen dieselben Personen. Über unsere eigenen Erfahrungen haben wir weniger gesprochen, das haben wir vielleicht auch ein bisschen vermieden. Das war für uns beide kein einfaches Thema.
Worum geht es dir beim Bergsteigen?
Für mich steht zuallererst der Berg im Mittelpunkt. Der steht einfach da, und der wird auch da sein, wenn wir schon längst verschwunden sind. Und es geht ganz stark um das Wie: Wie geht man ein Projekt an? Die Antwort auf diese Frage zu finden, bleibt jedem Alpinisten selbst überlassen. Wenn jemand bei einer Erstbesteigung meint, jeden Meter einen Bohrhaken in die Wand schlagen zu müssen wie Cesare Mestri am Cerro Torre (Patagonien), dann ist das zwar schade, aber es ist seine Entscheidung. Und diese Entscheidung, die bei der Erstbegehung gefallen ist, muss auch von allen nachfolgenden Begehungen respektiert werden. Aber wenn es in einer Route keine Bohrhaken gibt, dann soll das so bleiben. Wenn man sich daran halten würde, auch in der Szene, dann gäbe es viel weniger Probleme.
Bedeutet das, dass der Weg wichtiger ist als das Ziel?
Natürlich ist der Prozess wichtig. Ich habe für mich beschlossen, dass ich so wenige Spuren wie möglich am Berg zurücklasse, zum Beispiel keine Bohrhaken setze. Aber die eigentliche Frage ist doch: Was veranlasst einen Menschen nach einer anstrengenden Bergtour, dass er sich einige Tage später wieder auf den Weg macht? Ist es das Tun selber oder das, was zurückbleibt nach der Tour, das Erfüllt-Sein? Ich denke, es ist das Hochgefühl, das sich danach einstellt. Denn das Tun selbst ist ja oft mühsam. Eine schwierige Nordwand zu klettern hat überhaupt nichts mit Spaß zu tun. Da ertappe auch ich mich dabei, dass ich mich aus der Wand wünsche zurück in die Sicherheit meines Wohnzimmers. Aber je intensiver das Erlebnis in der Wand, je mehr man mit sich selbst zurechtkommen muss, desto erfüllender ist das Gefühl danach. Und dieses Gefühl möchte man immer wieder spüren.
Gemeinsam mit deinem Vater Reinhold Messner produzierst du Bergfilme. Worum geht es dabei?
Im Mittelpunkt unserer Geschichten steht der Berg: seine Geschichte und der kulturelle Kontext. Der Berg wertet nicht, er ist einfach da, und der Mensch erprobt sich nur an ihm. Bei Messner Mountain Movie geht es darum, diese Idee in den Filmen herauszuarbeiten und die Geschichten so originalgetreu wie nur möglich wiederzugeben. Reinhold besitzt einen großen Wissensschatz über die Geschichte des Alpinismus, und diese Geschichten erzählen wir im Rahmen von Messner Mountain Movie.
Das ist vielleicht etwas, wo Südtirol mehr zu bieten hat als andere Regionen?
Es steckt unglaublich viel in diesem kleinen Land. Es ist mehr als eine Urlaubsdestination. Die Zeitzeugen des Ersten Weltkrieges sind da, und man kann sie erleben. Ich rate jedem, der die Möglichkeit dazu hat, sich die Stellungen am Pordoi-Joch oder am Falzarego-Pass anzuschauen. Allein die Vorstellung, wie es gewesen sein muss, im Winter dort zu sein, mit der damaligen Ausrüstung, ist unglaublich.
In unserem vorletzten Film „Niemandsland“ geht es auch um den Ersten Weltkrieg, um dieses Land zwischen den Fronten, das Niemandsland. Das ist deswegen spannend, weil diese Linien, die damals gezogen wurden und die – so wie im Grunde die meisten Grenzen – nichts mit den natürlichen Gegebenheiten zu tun haben, die Bevölkerung damals entzweit haben. Es war ja alles Tirol eigentlich, vor allem von der Kultur her. Und auf einmal wird dein Nachbar dein Feind.
Wie ist deine Beziehung zu Südtirol?
Ich empfinde zu Südtirol eine starke Verbundenheit. Südtirol ist ein kleines Land, aber ungemein vielfältig. Besonders faszinieren mich die verschiedenen Dialekte, und obwohl sie zum Teil sehr unterschiedlich sind, gibt es sehr viele Überschneidungspunkte. Man merkt schnell: Die Südtiroler sind ein Gebirgsvolk. Vielleicht haben sie deswegen auch den Ruf, manchmal etwas eigensinnig zu sein. Es war ein hartes Leben. Und dieses harte Leben hat die Kultur geprägt. Gerade diesen Kontrast aus Eigensinn und Gastfreundschaft finde ich spannend.
Und in Südtirol wurde trotz des hohen Erschließungsgrades mit vielem sensibler umgegangen als anderswo. Man hat den Eindruck, die Menschen haben sich mehr bemüht, ihr kulturellen Traditionen bis zu einem gewissen Grad zu erhalten. Das hängt vielleicht mit der speziellen Geschichte des Landes zusammen.
Die Dolomiten sind heute intensiv erschlossen. Findet man da noch das echte Abenteuer oder muss man dafür nach Patagonien reisen?
Ab dem 19. Jahrhundert kamen die Engländer zum Bergsteigen in die Alpen. Zuerst eroberten sie die Gipfel in den Westalpen. Später kamen sie auch nach Südtirol, weil hier noch viele Gipfel unbestiegen waren. Aber die Dolomiten waren ihnen zu kompliziert, die Berge zu weitläufig, die Zustiege zu weit, das war ihnen alles zu anstrengend. Also blieb die alpinistische Entdeckung unserer Berge heimischen Bergführern und Städtern aus Österreich und Deutschland überlassen. Vor allem dem Wiener Paul Grohmann gelangen zahlreiche Erstbesteigungen, unter anderem von Marmolata, Dreischusterspitze oder Langkofel, dem Hausberg der Grödner.
Heute sind die Dolomiten intensiv erschlossen, die Langkofelscharte liegt auf 2850 m Seehöhe und ist im Sommer bequem mit der Seilbahn erreichbar. Und trotzdem: Das Abenteuer liegt oft so nah, man braucht nur einmal hinter der Bergstation um die Ecke schauen, und schon ist es da. Darin liegt der Reiz, und gleichzeitig die Verantwortung für die eigenen Entscheidungen.
Hast du einen Lieblingsberg?
Die Dolomiten sind sicherlich die Berge, die mich am meisten geprägt haben. Und ich darf sagen: Ich kenne kaum schönere! Ihre Vielfalt und Formschönheit, vor allem der Kontrast zwischen Kulturlandschaft, den Wäldern und den schroffen Gipfeln, ist etwas Einmaliges.
Meine Lieblingswand ist die Westwand des Heiligkreuzkofel im Gadertal. Außerhalb der Kletterszene ist sie relativ unbekannt. Besonders gefällt mir, dass sie bis heute quasi bohrhakenfrei geblieben ist. Viele der Routen wurden von bedeutenden Alpinisten erstbegangen. Man findet hier die großen Namen, zum Beispiel Hansjörg Auer, Christoph Hainz, Albert Precht, Prem Darshano. 1968 eröffneten Reinhold und mein Onkel Günther den Mittelpfeiler, eine der damals schwierigsten Routen. Alles große Namen, Traumtouren und ein fantastischer Fels mit Abenteuer-Potenzial. Gegen Abend glänzt sie rötlich in der Sonne, das allein ist schon ein wunderbarer Anblick.
Für dich und deine Lebensgefährtin beginnt jetzt ein neuer Lebensabschnitt.
Labor, Film, Bergsteigen: die vergangenen zehn Jahre waren unglaublich abwechslungsreich. Ende März sind wir nach Südtirol gezogen und werden dann auf Juval im Vinschgau einen Bergbauernhof bewirtschaften. Wir haben großen Respekt vor dieser Herausforderung. Es ist nicht Innsbruck, wo wir die vergangenen elf Jahre gelebt haben, sondern ein Leben am Berg. Es ist ein anderes Leben.
Was ist eure Motivation?
Wir haben diese Entscheidung gemeinsam getroffen, auch um der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Den Hof zu erhalten bedeutet mir persönlich viel, aber gleichzeitig bringt es auch der Gesellschaft etwas. Die Landschaftspflege ist wesentlich. Im Piemont gibt es mittlerweile ganze Talschaften, die völlig verwaist sind. Wunderschöne Täler, alles verfallen und alles verlassen. So darf es bei uns nicht werden, das wäre jammerschade und wohl auch kaum rückgängig zu machen.
Wovon werdet ihr leben?
Es ist schön, dass Du das ansprichst. Ich halte das für eine der großen gesellschaftlichen Fragen für Südtirol, aber eigentlich für den gesamten Alpenraum: Wer wird sich in zwanzig Jahren um diese Bauernhöfe kümmern, wenn sie nicht mehr wirtschaftlich sind? Man darf nicht vergessen, die Bauern leisten durch die Landschaftspflege einen enormen Beitrag für unsere Gesellschaft. Wenn ein Bergbauernhof nicht mehr rentabel ist, dann wird das auf kurz oder lang zu einem Problem für uns alle. Wir haben glücklicherweise fünf Ferienwohnungen dabei, die werden wir ausbauen. Ich mache mir viele Gedanken darüber. Wie kann man es so gestalten, dass die Bauern nicht gezwungen sind, ihre Höfe aufzugeben und abzuwandern? Dafür braucht es vernünftige Rahmenbedingungen und Menschen, die mutig sind und es einfach ausprobieren.
Simon Messner, vielen Dank für das Gespräch und wir wünschen euch dabei viel Erfolg!
