Der Krampus-Brauch in Südtirol
In der Vorweihnachtszeit, wenn die Tage am kürzesten sind und die Nächte am kältesten, freuen sich die Südtiroler Kinder jedes Jahr auf den Nikolaus, der ihnen gute Gaben bringt. Der Nikolaus ist jedoch nicht allein: neben den Engelchen ist auch der Krampus nicht weit. Laut Tradition bestraft dieser die weniger braven Kinder. Ein Krampus – das ist eine Gestalt aus der Hölle mit Hörner, Fratze, Fell und Rute. Und Glocken, die bei jedem Schritt bedrohlich schallen.
Während sich die Kinder vor dem Krampus fürchten, trotzdem aber fasziniert von ihm sind, überkommt die Jugendlichen bei dessen Anblick eine schaurig-schöne Vorfreude. Am 5. Dezember, dem traditionellen Krampustag, treffen sich die Jugendlichen im Dorf, um die Krampusse zu „tratzen“ – zu necken. Niemand vergisst den wohligen Schauer, wenn die ersten Glocken bei Dämmerung durch die Straßen der Dörfer klingen. Mit dem Lauterwerden der Glocken und dem Donnern der Füße auf dem Pflaster steigt das Adrenalin. Ein Blick auf die furchterregenden Kreaturen und die Jugendlichen rennen los – fort von den Glocken, den verzerrten Fratzen, den Ruten. Denn man darf sich nicht erwischen lassen. Ansonsten ist es nämlich nicht ausgeschlossen, dass am nächsten Tag der ein oder andere blaue Fleck auf den Waden schmerzt.
Der Krampus-Brauch ist uralt und geht einer Legende nach auf die Kelten zurück, wenngleich der wahre Ursprung im Dunkeln bleibt. Schon damals zogen in den langen Nächten vor dem 21. Dezember Krampusse und Perchten in den Alpenregionen um die Häuser. Ob sie den Winter einläuten oder ihn doch eher zu vertreiben versuchen, ist umstritten. Als sich im Mittelalter das Christentum durchsetzte, wurde der Brauch für kurze Zeit verboten. Wenig später stellte die Kirche dem bösen und furchteinflößenden Krampus den guten Nikolaus entgegen und seither treten beide gemeinsam auf.
Doch was wir Südtirol:innen noch als „Krampus Tratzen“ in Erinnerung haben, hat sich in den letzten Jahren zu Krampusläufen gemausert. Nun ist der Krampus nicht mehr bloß das böse Pendant zum guten Nikolaus, sondern bekommt seine eigene Show. Zwischen Mitte November und Mitte Dezember veranstalten sogenannte Krampus-Vereine landauf, landab Schauläufe, bei denen sich Krampus-Gruppen treffen und eine abgesperrte Route ablaufen. Dabei tragen sie ihre handgefertigten Kostüme auch auf Wägen zur Schau. In einer wilden Darbietung begleitet von Feuer und Lärm faszinieren sie Schaulustige.
Toblach ist die Wiege der Krampusläufe in Südtirol. Dort geistern seit 1995 jedes Jahr um die 400 Krampusse durch das Dorf. Auch in diesem Jahr findet der Krampuslauf in Toblach wieder Anfang Dezember statt. Auch die „Oachna Krampusse“ aus Aicha bei Brixen organisieren 2022 einen Krampuslauf in Natz mit über 600 Krampussen aus Südtirol, Österreich, Deutschland und der Schweiz. Günther Heidenberger, der stellvertretende Obmann der Krampusse, liebt es, im gemeinsamen Lauf mit anderen Krampussen seine Leidenschaft für den Brauch zu teilen.
Damit sich Männer und Frauen mit einer Leidenschaft für das Schaurige allerdings in furchterregende Gestalten verwandeln können, bedarf es viel Zeit, Geschick und Geduld. Denn jedes einzelne Kostüm ist ein handgefertigtes Original, das mit viel Liebe zum Detail entworfen worden ist. Der große Arbeitsaufwand und das benötigte handwerkliche Geschick haben dazu geführt, dass sich nur noch einige wenige der Kunst widmen, das Schaurige schön zu machen.
Lukas Troi hat sich zwar der Herstellung von Masken verschrieben, selbst hat er aber noch nie den Krampus gespielt. „Am Krampustag habe ich für gewöhnlich genug von den Masken, sodass ich lieber daheimbleibe“, lacht der Ahrntaler. Schließlich schnitzt er Sommer wie Winter für diverse Krampus-Vereine und fertigt auch einzelne Krampusse Masken auf Anfrage an. In seinem Atelier in Luttach schnitzt er schon seit 20 Jahren jährlich um die 20 Masken – dabei liebt er die künstlerische Freiheit, den Fratzen ihre Wildheit und Ungeheuerlichkeit zu verleihen.
Auch Luca Pojer ist Maskenschnitzer. Als Kind fürchtete er sich so sehr vor den finsteren Gestalten, dass er sich nie aus dem Haus traute, wenn die Krampusse in Salurn, seinem Heimatdorf, ihr Unwesen trieben. Später überwiegte jedoch seine Faszination für die unheimlichen Gestalten und er beschäftigte sich mehr mit der althergebrachten Tradition. Mit zwölf Jahren brachte er schließlich den Mut auf, mit seinem Cousin zum ersten Mal zum „Krampus-Tratzen“ zu gehen. „Aber als uns einer verfolgt hat, hatten wir solche Angst, dass wir uns unter einem Auto versteckten“, erinnert sich Luca lächelnd.
Später, als er bereits hauptberuflich Masken schnitzte, nahm er auch selbst an Krampusläufen teil. Was ihn dabei faszinierte? Das Gefühl, den Menschen überlegen zu sein. „Unter der Maske kann ich auch lachen, doch das wird der Zuschauer niemals erfahren“, schmunzelt er.
Pojers Masken sind allesamt Unikate und geben den Betrachtern das Gefühl, der Krampus sei tatsächlich gerade der Unterwelt entstiegen. Kein Wunder – schließlich arbeitet der Salurner bis zu zwei Wochen lang an einer einzigen Maske. In seinem Atelier etwas südlich von Salurn schnitzt auch er an etwa 20 Masken pro Jahr und stellt dabei – außer dem Holz und dem Fell – jede Komponente einer Maske selbst her. Aus Kunstharz und Kunststoff gießt er Zähne, Hörner und Augen, die die furchterregenden Gesichter später tragen werden. Die Masken selbst bestehen aus Zirbenholz, das Pojer in Handarbeit bemalt, sowie aus Ziegenfellen, die an das Kostüm angepasst werden.
Durch seine präzise Handarbeit und das Alleinstellungsmerkmal jeder seiner Masken möchte er ihnen einen künstlerischen Wert verleihen. Inspiration für seine Fratzen holt er sich an den zahlreichen Schauläufen im Land. Dann studiert er mit geschultem Blick den Ausdruck der Masken, die von den Krampussen getragen werden. Denn es ist der ganz spezifische Ausdruck des Krampusses und das Gefühl, das er damit übermittelt, welches den Menschen Angst einjagt. Pojer hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Ausdruck so gut hinzukriegen, dass der Betrachter tatsächlich meint, die Krampusse sind gerade aus der Hölle hochgefahren, um sie zu bestrafen.
Das schaurig-schöne Treiben und die kunstvoll geschnitzten Masken können Sie jedes Jahr zwischen Ende November und Anfang Dezember unter anderem bei folgenden Krampusläufen betrachten: Krampusumzug im Gsiesertal Krampuslauf in Branzoll Taufrer Advent „Schellenrennen“ in Laas Nikolaus und Tuifl Umzug in Schlanders Krampusumzug in Lana Nikolausumzug mit kleinen Krampussen in Lana Krampuslauf Toblach Großes Krampus- und Perchtentreffen in Sexten Krampuslauf in Natz
